Bundeswehreinsatz in Syrien

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Ein Bundeswehreinsatz in Syrien zur Bekämpfung der Milizen des IS wurde ab Ende November 2015 von der deutschen Bundesregierung diskutiert und von den Koalitionsparteien im Bundestag debattiert. Am Freitag, dem 4. Dezember 2015 soll der Bundestag Beschlüsse fassen, wobei die Abstimmung freigegeben werden soll (kein Koalitionszwang). Ausschlaggebend seien nach Regierungsansicht die Terroranschläge am 13. November 2015 in Paris und der darauf verstärkte Einsatz Frankreichs, der USA und Russlands bei der militärischen Bekämpfung der Dschihadisten. Die Bundeswehr soll mit einer Fregatte und sechs Militärflugzeugen vom Typ Tornado die französischen Streitkräfte unterstützen. Es wird ein Kontingent von 1200 Soldaten veranschlagt, was der derzeit größte Auslandseinsatz der deutschen Streitkräfte wäre.

Hintergrund

Nach den Terroranschlägen in Paris ordnete der französische Staatspräsident François Hollande unmittelbar Luftschläge gegen den IS an. Gleichzeitig warb er für eine breite internationale Koalition gegen die Dschihadisten, wobei er sich unter Anderem explizit auf § 49,7 des Lissabon-Vertrages der EU bezog.

Den Einsatz von Bodentruppen lehnen USA, Frankreich, Russland und alle anderen Staaten ab.

260 Bundeswehrsoldaten sind bereits im Rahmen der Operation Active Fence Turkey (AF TUR) der NATO seit 2013 in der Stadt Kahramanmaraş innerhalb der Türkei stationiert. Am 14. Dezember 2012 beschloss der Bundestag erstmals die Entsendung deutscher bewaffneter Streitkräfte zur Verstärkung der „integrierten Luftverteidigung der NATO“ auf Ersuchen der Türkei. Das aktuelle Mandat ist bis zum 31. Januar 2016 befristet und erlaubt den Einsatz von bis zu 400 Soldaten. Der operative Einsatz der Bundeswehr endete am 15. Oktober 2015. Am selben Tag wurde mit der Vorbereitung für die Rückverlegung begonnen.[1] Die Bundeswehr sollte mit ihren PATRIOT-Flugabwehrsystemen die Türkei vor Raketenbeschuss aus Syrien schützen.

Außerdem kämpfen kurdische Peschmerga mit Bundeswehr-Waffen in Syrien und dem Irak. Mit der Ausbildungsunterstützung der Bundeswehr im Irak unterstützt die deutsche Bundesregierung die kurdischen Peschmerga-Einheiten im Nordirak für den Kampf gegen den Islamischen Staat durch Bewaffnung und Ausbildung. 102 deutsche Soldaten aus den Truppenteilen Feldjäger, Fallschirmjäger, MAD und Sanitäter sind im Nordirak im Einsatz.

Politische Debatte

Die Charles de Gaulle bei einem Anlegemanöver in Indien (2015)
Bewegliche Abschusseinheit des S-400-Luftverteidigungssystems, wie es von russisch-syrischen Kräften verwendet wird

Die Bundesregierung unter Angela Merkel gab am 28. November 2015 bekannt, dass sie unter anderem sechs Tornado-Aufklärungsflugzeuge und eine Fregatte für den Kampf gegen die IS-Miliz in den Einsatz schicken werde. Die Fregatte solle den französischen Flugzeugträger Charles de Gaulle im Mittelmeer schützen.

Unklar ist, ob zum Beispiel auch Russland die Ergebnisse der deutschen Aufklärung erhalten soll. Die russische Luftwaffe hatte unmittelbar vor der Bekanntgabe des geplanten Bundeswehreinsatzes in Berlin, ihre S-400-Raketenabwehr auf dem syrischen Stützpunkt Latakia stationiert. Das System S-400 dient der effektiven Bekämpfung von ballistischen Raketen und Überschall-Kampfflugzeugen. Als Konfliktparteien im syrischen Bürgerkrieg verfügen nur die mit Russland verbündete syrische Armee und die westlichen und arabischen Alliierten der Anti-Terrorkoalition über entsprechende Waffen und Kampfflugzeuge. Unklar ist, wie die westlichen Kampfflugzeuge, darunter die deutschen Tornados, ohne Absprachen mit Moskau, unter dem Schirm der S 400-Raketenabwehr agieren sollen.[2]

Eine direkte Beteiligung an Luftangriffen in Syrien hielt der Generalinspekteur der Bundeswehr Volker Wieker Ende November 2015 für nicht sinnvoll: „Militärisch sinnvoll ist das, was benötigt wird. In diesem Fall ist es unsere Aufklärungsfähigkeit.“[3] Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen stellte in Aussicht, dass es zu einer Kooperation mit der syrischen Armee kommen könnte und präzisierte kurz darauf, dass dies nur dann der Fall sein würde, wenn diese nicht mehr unter dem Befehl von Präsident Baschar al-Assad stünde.

Der Bundeswehrverband fordert von der Bundesregierung, klare Ziele für einen Syrien Einsatz zu definieren. "Krieg ist kein Selbstzweck", sagte der Vorsitzende André Wüstner und weiter "Es braucht klare Ziele und eine Strategie. Und da erwarten wir noch Antworten." Er geht davon aus, "dass dieser Kampf mehr als zehn Jahre lang andauern wird". Deshalb sei ein "Ordnungsziel" erforderlich. Deutlich wies er daraufhin, dass der IS nicht auf den Irak und Syrien beschränkt sei, sondern die Bekämpfung auch in weiteren Länder im Nahen Osten und Nordafrika nötig werde.[4]

Der SPD-Verteidigungspolitiker Rainer Arnold räumte ein, ein UN-Mandat wäre besser, „aber es gibt ja eine Uno-Resolution vom vergangenen Freitag und die Selbstverpflichtung der Europäer, dem Partner Frankreich beizustehen.“[5]

Die CSU meint, Deutschland könne sich einem militärischen Engagement nicht verweigern und qualitativ sei der Einsatz der Tornados kein Unterschied zum bisherigen Engagement. Man beteilige sich ohnehin durch die Waffenlieferungen an die Peschmerga bereits aktiv am Kampf gegen den IS.[6]

Bündnis 90/Die Grünen stimmen dem Einsatz ebenfalls zu, stellen aber einige Bedingungen, die derzeit nicht erfüllt sind. Die Partei will unter Anderem ein UNO-Mandat für den Einsatz.

Die Linke kritisiert die Entscheidung der Bundesregierung: „Die Bundesregierung begeht einen Tabubruch.“ Deutschland rücke mit dem Bundeswehreinsatz in Syrien noch weiter in den Fokus der Gewalttäter. Die Terroristen des IS ließen sich nicht „wegbomben“.[6] Sahra Wagenknecht, Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE im Bundestag sagte: „Es wäre unverantwortlich, wenn die Große Koalition die schrecklichen Terroranschläge von Paris dazu missbrauchen würde, deutsche Soldaten in neue sinnlose Kriege zu schicken. Niemand braucht ein zweites Afghanistan. Es ist unverantwortlich, dass die Bundesregierung dem von Frankreich ausgerufenen Beistandsfall nach Artikel 47 der EU-Verträge nicht widersprochen hat. Stattdessen muss der Kreislauf aus Krieg und Terrorismus durchbrochen werden.“ Der Islamische Staat müsse vor allem durch eine konsequente Unterbindung von Waffenlieferungen und Finanzströmen kampfunfähig gemacht werden. Es sei eine Schande, dass nach wie vor und trotz zahlreicher Ankündigungen der Türkei die Schließung der Grenze zwischen der Türkei und Syrien immer noch ausstehe und der IS so weiterhin ungehindert Nachschub an Kämpfern und Waffen erhalte.[7][8]

Die Zeitschrift Der Spiegel stellte fest dass es gar keine Strategie gäbe um den IS zu besiegen bzw. dass auch der Bundeswehreinsatz keiner Strategie folge. Bei einem Treffen der Nato-Außenminister waren diese sich nur einig das Luftangriffe gegen IS allein nicht reichen um den IS zu besiegen. Bodentruppen möchte auch niemand entsenden. Die Bundesregierung habe nur die vage Hoffnung dass sich dass die Truppen von Assad und der Opposition sich gegen den IS verbünden.[9]

Mandat

Am 1. Dezember 2015 beschloss die Bundesregierung den Einsatz von bis zu 1200 Soldaten. Die Zustimmung des Bundestages steht allerdings noch aus und soll am 4. Dezember 2015 mit den Stimmen von SPD und CDU/CSU beschlossen werden.

In der Vorlage für den Bundestag ist ein Mandat für ein Jahr bis zum 31. Dezember 2016 vorgesehen. Wenn die Bundesregierung das Mandat verlängern will, muss der Bundestag erneut zustimmen. Veranschlagt sind Kosten von 134 Millionen Euro für das erste Jahr. Das wäre deutlich weniger als in der gefährlichsten Phase des Afghanistan-Einsatzes mit mehr als einer Milliarde Euro.[10]

Teil des Beschlusses ist die Entsendung von Tornados zu Aufklärungszwecken, Tankflugzeugen, einer Fregatte sowie Stabspersonal.[11] Auch durch Satellitenaufklärung soll die Mission unterstützt werden.[12]

Rechtsgrundlage

Die rechtliche Begründung für den Einsatz ist umstritten. In den mündlichen Unterrichtungen der Abgeordneten am 28. November 2015 wurde mit folgenden Rechtsgrundlagen argumentiert:

  • Die jüngste UN-Resolution (Nr. 2249), eingebracht von Frankreich, fordert die Mitgliedstaaten auf, in Syrien und dem Irak „alle notwendigen Maßnahmen“ zu ergreifen, „um terroristische Handlungen zu verhüten“.
  • Nach Artikel 51 der UNO-Charta kann sich Frankreich auf das „Selbstverteidigungsrecht“ berufen. Ziel der Bundeswehrmission sei die militärische Unterstützung Frankreichs, des Irak und der von den Vereinigten Staaten geführten Internationalen Allianz gegen den IS „auf der Grundlage des Rechts auf kollektive Selbstverteidigung gemäß Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen“, begründete laut ARD-Bericht das Kabinett seinen Wunsch nach einem Bundeswehreinsatz.[13]

Die juristischen Zweifel sind mit dieser Kombination nicht ausgeräumt. Sowohl bei Grünen und Linken, aber auch in der SPD- und in der Unions-Fraktion gab es Skepsis dazu und auch unter Rechtsexperten der Bundesregierung gibt es Bedenken, ob UNO-Resolution 2249 ausreichen würde. Denn bisher gibt es kein UNO-Mandat für eine friedenserzwingende Maßnahme in Syrien nach Kapitel VII der UNO-Charta. Damit gibt es keine UNO-Resolution für einen sogenannten „Friedenseinsatz“.[5]

Die Bundesregierung bemüht sich sehr darum, nicht von einem Kriegseinsatz zu sprechen, da ein Kriegseintritt gegen dass Völkerrecht verstoßen würde und damit Deutschland ein aus der deutschen Geschichte heraus ausdrücklich durch das Grundgesetz verbotenen Angriffskrieg führen würde.

Auch wenn die Bundeswehr selbst nur zur unmittelbaren Selbstverteidigung ihre Waffen einsetzt, hat kein Politiker Zweifel daran, dass durch die umfangreiche logistische Hilfe die tödlichen Bombardements der Verbündeten wirksamer werden. Das Mandat erlaubt den beteiligten Bundeswehrsoldaten "zur Durchsetzung ihrer Aufträge" Gewalt anzuwenden. Damit ist einerseits die Verteidigung und Rettung eigener Soldaten gemeint. Jedoch auch der Schutz von Verbündeten. Die Aufklärungs-Tornados sind bewaffnet und sollen sich aktiv verteidigen, werden sie angegriffen.[14]

Der Bochumer Völkerrechtler Hans-Joachim Heintze sieht eine "rechtlichen Grauzone" bei dem Einsatz.[10]

Bundeswehr

Die F-216, die Fregatte Schleswig-Holstein ist eine der Fregatten, die zur Begleitung des französischen Flugzeugträgers Charles de Gaulle eingesetzt werden kann. (2010)
Ein Tornado Recce der Luftwaffe mit einem Recce-Container unter dem Rumpf. (2008)
Ein A310-Tankflugzeug der Luftwaffe. (2007)

Generalinspekteur Volker Wieker nannte eine Zahl von 1200 Soldaten für den Einsatz. Nach seinen Angaben würde die Luftwaffe vier bis sechs Tornados bereitstellen, um sie überlappend einzusetzen. Die Aufklärungsflugzeuge könnten an zwei Orten stationiert werden, wozu die Bundeswehr Gespräche mit der Türkei und Jordanien über die Luftwaffenstützpunkte Incirlik Air Base (NATO) und Amman führte. Die größte Gefahr für die Piloten entsteht durch Boden-Luft-Raketen von Kriegsparteien.

Eine Fregatte als Begleitschutz des französischen Flugzeugträgers soll ebenfalls bereit gestellt werden. Im Rahmen der European Union Naval Force – Mediterranean ist die Fregatte Schleswig-Holstein (F 216) bereits im Mittelmeer. Die Luftbetankung der französischen Kampfjets soll durch einen Airbus A310 der Luftwaffe sicher gestellt werden. Signalerfassende Aufklärung findet durch die entsprechenden Einheiten der Bundeswehr statt. Ebenfalls dazu gehören das SAR-Lupe-System und der Einsatz von SATCOMBw.

Einzelnachweise

  1. Achim Kling: Rückverlegung in der Türkei beginnt. In: www.einsatz.bundeswehr.de. 16. November 2015, abgerufen am 1. Dezember 2015.
  2. Ulrich Heyden: Warum soll die Bundeswehr so plötzlich nach Syrien? In: heise.de. 29. November 2015, abgerufen am 1. Dezember 2015.
  3. Tagesschau: Bundeswehr will 1200 Soldaten für Syrien. In: tagesschau.de. 30. November 2015, abgerufen am 1. Dezember 2015.
  4. tagesschau.de: Kabinett beschließt Syrien-Einsatz - Forderung nach Strategie. In: tagesschau.de. 1. Dezember 2015, abgerufen am 2. Dezember 2015.
  5. a b Severin Weiland: Krieg gegen IS: Bundeswehr in Syrien – darf Deutschland das? In: Spiegel Online. 27. November 2015, abgerufen am 1. Dezember 2015.
  6. a b Kampf gegen IS: Bundesregierung stellt auch Fregatte zum Einsatz vor Syrien bereit. In: Spiegel Online. 26. November 2015, abgerufen am 1. Dezember 2015.
  7. Hans Springstein: Syrien/Bundeswehr – Ja, wer sagt's denn … In: freitag.de. 19. November 2015, abgerufen am 1. Dezember 2015.
  8. Fraktion DIE LINKE. im Bundestag – Kein neues Afghanistan – Pressemitteilung. In: linksfraktion.de. 18. November 2015, abgerufen am 1. Dezember 2015.
  9. Anti-IS-Koalition: "Es gibt keine Exit-Strategie" spiegel online vom 2. Dezember 2015, abgerufen am 3. Dezember 2015
  10. a b Kampf gegen den IS: Sieben Fakten zum Bundeswehreinsatz. In: t-online.de. 1. Dezember 2015, abgerufen am 2. Dezember 2015.
  11. Kabinett beschließt Anti-Terror-Einsatz der Bundeswehr. In: sueddeutsche.de. 1. Dezember 2015, abgerufen am 1. Dezember 2015.
  12. dpa/epd: Kabinett beschließt Syrien-Einsatz. In: FAZ.net. 1. Dezember 2015, abgerufen am 1. Dezember 2015.
  13. okü./AFP: Einsatz der Bundeswehr in Syrien wird zweitteuerste Auslandsmission. In: FAZ.net. 30. November 2015, abgerufen am 2. Dezember 2015.
  14. Hintergrund: Was die Bundeswehr in Syrien machen soll – MDR.DE. In: mdr.de. 2. Dezember 2015, abgerufen am 2. Dezember 2015.